Der 9. November – Schicksalstag der Deutschen

Vortrag von Konstantin Groß am 9. November 2023 auf der Gedenkfeier anlässlich des 85. Jahrestages der Reichspogromnacht

Konstantin Groß

Herr Bürgermeister,
Herr Dr. Penk,
meine Damen und Herren,

üblicherweise sagt man zu Beginn eines solchen Vortrages: Es ist mir eine große Ehre und Freude, hier bei Ihnen sprechen zu dürfen. Eine Ehre ist es auch heute für mich in der Tat, und so bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Penk, mich diesbezüglich eingeladen zu haben.

Aber auch eine Freude? Ein solches Wort verbietet sich jedoch – sowohl angesichts des Anlasses dieser Veranstaltung als auch ihrer aktuellen Umstände. Dies vor dem Hintergrund, dass wir heute an ein Ereignis erinnern, das am 9. November 1938 Leid über Menschen gebracht hat, ja sogar erst der Anfang eines noch viel größeren Leides werden sollte, des Menschheitsverbrechens des Holocaust. Aber auch angesichts dessen, in welchen aktuellen Rahmenbedingungen diese heutige Veranstaltung stattfindet. Dass heute, erstmals in der Geschichte dieser Gedenkstunde, ein Polizeifahrzeug vor dieser Synagoge steht, ist ein untrügliches Zeichen dafür.

Als Sie, Herr Dr. Penk, mich im Sommer diesen Jahres angesprochen haben, ob ich mir einen solchen Vortrag hier vorstellen könne, hätte keiner von uns beiden für möglich gehalten, was sich am 7. Oktober ereignet hat. An diesem Tag wurden so viele jüdische Menschen getötet wie noch nie an einem Tag seit Ende des Holocaust im Frühjahr 1945, also vor 78 Jahren.

Über dieses unermessliche menschliche Leid hinaus tangiert dieses Ereignis eine zentrale Folgerung aus dem Holocaust. Sie lautete: Mögen Juden wo auch immer in der Welt diskriminiert, verfolgt oder getötet werden – im Staat Israel haben sie eine sichere Heimstadt. Dieses Schutzversprechen hat der Staat Israel diesmal nicht mehr einzulösen vermocht. Seine Geheimdienste und Streitkräfte wurden von den Ereignissen des 7. Oktober überrascht. Dies aufzuarbeiten, wird für den Staat Israel eine zentrale Aufgabe der kommenden Monate sein – neben einer noch weit grundsätzlicheren Aufgabe, nämlich jener, wie ein friedliches, vielleicht sogar gedeihliches Zusammenleben mit den Palästinensern organisiert werden kann.

Dies ist der Hintergrund, vor dem wir heute Abend an den 9. November 1938 erinnern.

„Der 9. November – Schicksalstag der Deutschen“ lautet das Thema dieses Vortrages. Denn in der Tat ergibt die Aneinanderreihung der historischen Ereignisse dieses Tages einen instruktiven Einblick in deutsche Geschichte – vom tragischen Ereignissen wie dem 9. November 1938 oder glücklichen wie dem 9. November 1989, aber auch von zwiespältigen wie dem 9. November 1918.

 

1.    Der  9. November 1848

Der erste 9. November, der uns in der deutschen Geschichte begegnet, ist der 9. November 1848. An diesem Tag wird Robert Blum, einer der Protagonisten der 1848er Revolution, hingerichtet.

Die Initialzündung zur ersten deutschen Revolution erfolgt von außen: Am 24. Februar 1848 wird in Paris der König gestürzt, die Republik ausgerufen. Die Nachricht davon verbreitet sich in Windeseile und beflügelt Demokraten in ganz Europa, auch in Deutschland.

Was sich dann abspielt, traut man den Deutschen normalerweise gar nicht zu: Bauern verbrennen Grundbücher, in denen ihre Leibeigenschaft fixiert ist, Bürger bilden Barrikaden und bewaffnen sich. Die Fürsten stehen unter Druck, sehen sich gezwungen, Reformen zu versprechen, liberale Regierungen zu ernennen.

Am 5. März 1848 treffen sich hier ganz in der Nähe, in Heidelberg, 51 Mitglieder süddeutscher Ständevertretungen und fordern die Einberufung einer Nationalversammlung, um eine demokratische Verfassung für ganz Deutschland auszuarbeiten. Innerhalb nur eines Monats wird eine Wahl organisiert, die es zuvor niemals gegeben hat.

Am 18. Mai 1848 wird die Verfassungsgebende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet. Unter den insgesamt 586 Abgeordneten sind 233 Juristen, 106 Professoren und 46 Fabrikanten, aber nur vier Handwerker. Bauern und Arbeiter sind überhaupt nicht vertreten, ebenso wie Frauen.

Dafür aber viele verschiedene politische Richtungen: von radikalen und gemäßigten Demokraten bis zu ebenso gemäßigten und radikalen Konservativen,  darunter auch damals bereits Antisemiten. Unter anderem Friedrich Ludwig Jahn, bis heute bekannt als „Turnvater Jahn“. In seinem programmatischen Buch „Deutsches Volksthum” propagiert er Sport als Wehrsport für den Kampf zur nationalen Einheit und einen völkischen Nationalismus, wettert dabei gegen die „weltflüchtigen Zigeuner und Juden“, spricht von einem „Gottesgericht wider Juden, Gauner, Gaukler“. Dennoch wird dieser Nationalist und Antisemit bis heute geehrt, indem in ganz Deutschland  Sportanlagen und Straßen nach ihm benannt sind, auch hier, in der Gemeinde Hirschberg.

Als König Friedrich Wilhelm von Preußen es ablehnt, die ihm angetragene „mit dem Ludergeruch der Revolution behaftete“ Kaiserkrone anzunehmen, scheitert das Projekt der Verfassung, auch das Parlament, ja die Revolution an sich.

Die Nationalversammlung löst sich auf, indem viele Abgeordnete frustriert nach Hause gehen oder von den Fürsten abberufen werden. Was übrig bleibt, wird vom Militär auseinander gejagt. Viele politisch Engagierte ziehen sich frustriert aus der Politik zurück, wie etwa Friedrich Daniel Bassermann, der wenige Jahre später sogar den Freitod wählt. Andere kommen in Festungshaft wie Gustav Struve, der danach ins Ausland, emigriert, wie viele andere, unter ihnen Friedrich Hecker oder Carl Schurz, der es als Weggefährte von Abraham Lincoln sogar zum Innenminister der USA bringt.

Robert Blum trifft es am schlimmsten. In Wien wird er am 4. November 1848 verhaftet, am 8. November in einem nur zweistündigen Prozess zum Tode verurteilt und am 9. November, einen Tag vor seinem 41. Geburtstag, erschossen. Der Befehl des Kaisers, ihn nicht zu erschießen, erreicht den Kommandeur des Erschießungskommandos zu spät.

Die Folge konstatiert der Heidelberger Historiker Frank Engehausen: „Dem Land geht eine ganze Generation von Demokraten verloren“. Eine Langzeitwirkung entfaltet jedoch der von der Nationalversammlung beschlossene Grundrechtskatalog: Manches wird nach 1849 von den Fürsten zwar zunächst rückgängig gemacht wie die Abschaffung des Adels und der Todesstrafe sowie die Gleichstellung der Juden, anderes wie das Ende des Feudalismus aber nicht.

Vor allem jedoch ist der Geist der Freiheit aus der Flasche. Selbst Otto von Bismarck kommt daran nicht vorbei; als der „Eiserne Kanzler“ 1871 den Nationalstaat schafft, übernimmt er das allgemeine Wahlrecht der 1848er Revolution. Die Grundrechte schließlich werden Vorbild für die Weimarer Verfassung 1919 und für das Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 verabschiedet wird – fast genau 100 Jahre nach Scheitern der ersten demokratischen Revolution in Deutschland.

Trotzdem bleibt das Gedenken an die 1848er Revolution zwiespältig: Ja, es war eine demokratische Revolution, doch sie ist gescheitert. Das macht das Gedenken schwierig. Zumal es keinen eindeutigen Stichtag gibt, der sich dafür anbieten würde. Die Person Robert Blums und der Tag seiner Hinrichtung, der 9. November 1848, spielen in der Erinnerungskultur an die 1848er Revolution so gut wie keine Rolle, wenn man von der Benennung eines Saales in Schloss Bellevue, dem Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten, am 9. November 2020 absieht. Der 9. November 1848 wird erst vor wenigen Jahren, quasi aus dramaturgischen medialen Gründen nachträglich „ausgegraben“, um in eine Reihe gestellt werden zu können mit den anderen Ereignissen des 9. November.

 

2.   Der 9. November 1918

Der zweite 9. November der deutschen Geschichte ist der 9. November 1918, der Sturz der Monarchie und die Ausrufung der ersten demokratischen Republik in Deutschland.

Der 9. November markiert das Ende des deutschen Kaiserreiches, das erst am 1. Januar 1871 entstanden war, doch bereits damals einen Geburtsfehler aufweist: Es ist in einem Krieg gegen ein Nachbarland entstanden, „aus Blut und Eisen“, wie sein Initiator Bismarck formuliert. 1870 führt er sein Land in eine militärische Auseinandersetzung gegen Frankreich, das er geschickt als Aggressor aussehen lässt. Die dadurch entstehende patriotische Begeisterung nutzt er, um einen deutschen Einheitsstaat zu schaffen. Für die Ausrufung des neuen Kaisers wählt Bismarck ausgerechnet das im Zuge des Krieges gerade besetzte Schloss von Versailles, Symbol des Glanzes der französischen Könige – eine völlig unnötige Demütigung der Nachbarn, die auf Generationen hinaus das Verhältnis zwischen den beiden Nationen vergiftet.

Die staatliche Einigung bedeutet für Deutschlands Entwicklung einen Quantensprung. Es wird zur führenden Industriemacht Europas. Deutsche Firmen erwerben Weltgeltung. Deutsche Technik und Wissenschaft werden prägend, zahlreiche Nobelpreisträger tragen deutsche Namen. Die bislang mittelalterlich oder barock geprägten Städte erhalten ein neues Gesicht. Verwaltungsgebäude, sogar Bahnhöfe und Wasserwerke, erinnern jetzt an Kathedralen; „Gründerzeit“ nennt sich dieser Baustil. Zudem gilt das gleiche und geheime Wahlrecht für alle Männer ab 25. „Das Kaiserreich hatte eines der modernsten Wahlrechte seiner Zeit“, betont die Historikerin Hedwig Richter. 23 Prozent der Bevölkerung sind wahlberechtigt, in Großbritannien, dem „Mutterland der Demokratie“, gerade mal 16 Prozent.

Allerdings: Neben sozialer Ungleichheit herrscht auch ein Obrigkeitsdenken, das Heinrich Mann in seinem „Untertan“ gekonnt verewigt. Dies geht einher mit einer unerträglichen Militarisierung der Gesellschaft! Sogar Professoren zählen nichts, sofern sie keine Reserveoffiziere sind. Nur wer Uniform trägt, gilt etwas. Entlarvend der Schuster Wilhelm Voigt, der 1906 in einer Hauptmanns-Uniform vom Trödler das Rathaus der Stadt Köpenick besetzt. „So etwas gibt es eben nur in Preußen“, lacht Wilhelm II.

Doch zum Lachen ist das nicht, erst recht nicht für Deutschlands Nachbarn. Die Pickelhaube wird Symbol des Reiches, das der Welt mit seiner aggressiven Außen- und Rüstungspolitik Angst einflößt, und die im August 1914 zum Ersten Weltkrieg führt.

Nach anfänglichen Siegen gerät das Völkerschlachten vor allem im Westen zum Stellungskrieg; Verdun wird zur Knochenmühle und damit zum Symbol für millionenfaches sinnloses Sterben. Besonders nach dem Kriegseintritt der USA 1917 ist die Versorgung der Bevölkerung im Innern nicht mehr zu gewährleisten. Tausende Deutsche verhungern.

Nach vier Jahren ist der Krieg im Herbst 1918 verloren. Die Militärführung gibt der in Kiel liegenden Hochseeflotte den Befehl zu einem letzten Gefecht; in einem Fanal soll sie in einem sinnlosen Kampf gegen die englische Flotte glorreich untergehen. Doch die Matrosen verweigern am 3. November diesen Befehl, der ihren sinnlosen Tod bedeutet hätte, Soldaten und Arbeiter schließen sich an, die Aufstände weiten sich aus in ganz Deutschland.

Am 9. November 1918 flieht der für das Desaster verantwortliche Kaiser ins Exil nach Holland, sein letzter Statthalter, der Prinz Max von Baden, übergibt das Amt des Reichskanzlers an den Führer der Sozialdemokraten, Friedrich Ebert. Dessen Parteivorsitzender Philipp Scheidemann, ruft am Reichstag die „Deutsche Republik“ aus, der Linkssozialist Karl Liebknecht im Hof des königlichen Stadtschlosses kurz darauf die „Sozialistische Republik“. Diesen Machtkampf innerhalb des linken Lagers entscheidet nach wochenlangen blutigen Auseinandersetzungen die SPD mit Ebert an der Spitze  – zum Teil mit Hilfe extrem rechter Gruppen.

Deren Anhänger jedoch, allen voran die Nationalsozialisten, sprechen von den Akteuren des 9. November bereits kurz darauf als von den „Novemberverbrechern“. Verbunden mit dem Begriff „Dolchstoßlegende“, also der Mär von dem im Felde unbesiegten Heer, dem die Verräter daheim den Dolch in den Rücken gestoßen hätten, prägt der Begriff „Novemberverbrecher“ die politische Auseinandersetzung der gesamten 1920er Jahre und damit auf lange Zeit die zwiespältige Sicht auf diesen Tag.

Auch in der Geschichtswissenschaft werden, wie schon die 1848er Revolution, die Revolution von 1918 und die daraus erwachsene Weimarer Republik, eher zwiespältig beurteilt. Denn ja, es war eine Revolution, doch die staatliche Ordnung, die aus ihr hervorging, ist am Ende doch gescheitert. Diese Betrachtung ist jedoch in höchstem Maße ungerecht. Denn sie beurteilt die Revolution von 1918 und vor allem die Weimarer Republik von ihrem Ende her, das in der Tat tragisch ausfiel. Und übersieht dabei, dass das Scheitern der ersten deutschen Republik keineswegs zwingend vorbestimmt war. In vielen gesellschaftlichen Bereichen war die Weimarer Republik zudem sogar ausgesprochen fortschrittlich und damit vorbildlich für unser heutiges Leben. Auch wenn dies anlässlich des 100. Jahrestags der Novemberrevolution im Jahre 2018 von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier herausgestellt wurde, so spielt das Gedenken an den 9. November als Tag der Revolution von 1918 keine zentrale Rolle in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik.

 

3.   Der 9. November 1923

Zwischen all den wichtigen Ereignissen am 9. November, verbirgt sich eher unscheinbar ein weiteres: der 9. November 1923. In München versucht heute genau vor 100 Jahren ein noch kaum bekannter Österreicher namens Adolf Hitler einen gewaltsamen Umsturz der demokratischen Ordnung in Deutschland. Der scheitert zwar kläglich und würde wohl – wie die zeitgleichen sozialistischen Aufstände in Sachsen – vollkommen der Vergessenheit anheimfallen, hätte der Anführer von 1923 zehn Jahre später nicht doch noch sein Ziel erreicht. So wird der 9. November 1923 rückblickend zum Menetekel für das, was nach dem 30. Januar 19033 folgt: Diktatur, Krieg, Völkermord.

Blick zurück ins Jahr 1923. Nach dem Ersten Weltkrieg steckt Deutschland politisch und ökonomisch in einer tiefen Krise. Die Inflation galoppiert, der Staat droht auseinanderzufallen: In der Pfalz proklamieren Separatisten im Herbst gar eine unabhängige Republik, in Bayern regiert der rechtskonservative und völkische Politiker Gustav Ritter von Kahr als Generalstaatskommissar mit einem Ausnahmezustand. Anordnungen der Berliner Reichsregierung wie das Verbot der NSDAP-Zeitung „Völkischer Beobachter“ missachtet er. Kahr will die Republik aushebeln.

Bayerns Hauptstadt München wird zum Hotspot der extremen Rechten. Allen voran der Führer der hier auch gegründeten, noch kleinen NSDAP, Adolf Hitler, und der ebenso antidemokratische ehemalige kaiserliche General Erich Ludendorff. Nicht ohne Grund erheben die Nazis München nach 1933 zu ihrer „Stadt der Bewegung“.

Als Start für seinen Putschversuch wählt Hitler den Abend des 8. November 1923. Im Bürgerbräukeller ist die gesamte Führung Bayerns versammelt. Kahr hält gerade seine Rede, da betritt Hitler an der Spitze eines SA-Stoßtrupps den mit 5000 Menschen voll besetzten Saal und erklärt die bayerische und die Reichsregierung für abgesetzt. Zeitgleich besetzen die Putschisten einzelne offizielle Gebäude. Doch sie wollen ein echtes Fanal – ihr Vorbild ist der „Marsch auf Rom“, mit dem der Faschist Benito Mussolini im Jahr zuvor in Italien die Macht erringt. Nach München soll es daher, so ihr Traum, Richtung Berlin gehen.

Ab 11 Uhr ziehen gut 2000 Putschisten unter Führung Ludendorffs und Hitlers vom Bürgerbräukeller in die Innenstadt. Am Odeonsplatz eröffnet die staatstreue Bayerische Landespolizei das Feuer, 13 Putschisten sterben. Hitler bleibt weitgehend unverletzt und entkommt in einem Krankenwagen  an den Staffelsee in das Landhaus seines Mäzens, des Kunsthändlers Ernst Hanfstaengl.

Dort wird er zwei Tage später aufgespürt und im Jahr darauf wegen Hochverrats in München vor Gericht gestellt. Doch der Prozess wird zum Paradebeispiel dafür, wie sehr die Justiz der Weimarer Republik auf dem rechten Auge blind ist. Hitler erhält Raum für ausschweifende Monologe, in denen er sich als Opfer stilisiert und den demokratischen Staat erniedrigt. Selbst der Staatsanwalt rühmt in seinem Plädoyer Hitler als „hochbegabten Mann“, der sich „den Ideen, die ihn erfüllten, bis zur Selbstaufopferung hingegeben hat.“ Und in seinem Urteil billigt das Gericht Hitler „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ zu, so dass er mit einer Strafe von fünf Jahren davon kommt.

Auch Hitlers Haft in Landsberg ist eine Farce. Im Speisesaal der Anstalt, die zu diesen Anlässen mit einer Hakenkreuzfahne geschmückt wird, hält er vor den Gefangenen politische Vorträge, zu denen sich sogar die Gefängniswärter einfinden und andächtig lauschen. Wenn er gerade keine Reden schwingt oder in den Audienz-ähnlichen Besuchszeiten Mitstreiter empfängt, diktiert er seinem Mithäftling Rudolf Heß den ersten Band seines Buches „Mein Kampf“. Nach nur neun Monaten wird er „wegen guter Führung“ aus der Haft entlassen.

Aus dem missglückten Putsch zieht Hitler die Erkenntnis, „dass die Eroberung moderner Staatsgebilde auf gewaltsamem Wege aussichtslos sei“, wie sein Biograf Joachim C. Fest konstatiert. Er beschließt stattdessen, so Fest, „die Illegalität im Schutze der Legalität anzusteuern.“ Mit Erfolg: Am 30. Januar 1933 wird er durch Reichspräsident von Hindenburg, übrigens engster Weggefährte Ludendorffs im Ersten Weltkrieg, zum Reichskanzler ernannt. Im Besitz der Macht, errichtet er im Inneren eine Diktatur und entfesselt den Krieg in Europa und in dessen Schatten den Holocaust.

Die 1923 getöteten Putschisten werden zu „Blutzeugen der Bewegung“ verklärt, am Münchner Königsplatz für die Toten zwei Ehrentempel errichtet und ihre sterblichen Überreste dorthin umgebettet. In der Feldherrnhalle selbst wird eine riesige Bronzetafel aufgestellt, vor der ein SS-Doppelposten die Ehrenwache hält, die von den Passanten mit dem Hitlergruß zu ehren ist.

Alljährlich am 9. November gedenkt der NS-Staat der Getöteten in schaurig inszenierten Feiern in Anwesenheit Hitlers. Zwei Mal entgeht er bei diesem Anlass Attentaten auf ihn: am 9. November 1938 durch den Schweizer Maurice Bavaud beim Gedenkmarsch und am 8. November 1939 durch den Handwerker Georg Elser im Bürgerbräukeller.

1945 wird die Gedenktafel in der Feldherrnhalle abmontiert und eingeschmolzen. Die Ehrentempel am Königsplatz werden von der US-Armee gesprengt; noch heute sind die Sockel zu erkennen. Zur Würdigung der vier von den Putschisten getöteten Polizisten ließ die Stadt München 1994 in das Pflaster vor der Feldherrnhalle eine Bodenplatte einbauen, die 2010 ins Stadtmuseum versetzt wurde. An ihrer Stelle wurde am 9. November 2010 von Oberbürgermeister Christian Ude und Innenminister Joachim Herrmann eine Gedenktafel an der gegenüberliegenden Westseite der Münchner Residenz enthüllt.

 

4.   Der 9. November 1938

Der 9. November 1938 markiert eine tiefe Zäsur nicht nur für Juden in Deutschland, sondern für Deutschland insgesamt: Erstmals werden religiöse und Wohn-Stätten einer ganzen Bevölkerungsgruppe in einem landesweiten Pogrom systematisch zerstört und erstmals Menschen dieser Bevölkerungsgruppe in großer Zahl ermordet.

Trotz aller Ausgrenzung und Repression leben im Jahre 1938 noch 542 000 jüdische Bürger im Deutschen Reich – 192 000 waren im März 1938 durch die Besetzung Österreichs hinzugekommen. Zu viele in den Augen der Nazis. Schon zu Jahresbeginn fordert SS-Chef Heinrich Himmler gegen die Juden den „Volkszorn“ zu mobilisieren.

Ein Attentat in Paris liefert den Vorwand. Aus Verzweiflung über das Schicksal seiner deportierten Familie schießt der 17-jährige Jude Herschel Grynszpan am 7. November 1938 in der deutschen Botschaft in Paris auf den Diplomaten und NSDAP-Angehörigen Ernst von Rath; dieser erliegt am 9. November seinen Verletzungen.

Der Tod des Diplomaten wird Vorwand für seit langem gewollte Exzesse. Noch am Abend des Attentats vom 7. November ordnet NS-Propagandaminister Joseph Goebbels an, den Anschlag in allen Zeitungen „in größter Form herauszustellen“. Und deutlich zu machen, dass es „die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muss“.

Als Rath am 9. November stirbt, befindet sich die gesamte NS-Führung in München, um ihres gescheiterten Putsches von 1923 zu gedenken. Dieser Zufall erleichtert die Umsetzung der Aktion. Um 22.30 Uhr ergehen die Befehle zur Aktion – einer lautet: „Sämtliche jüdischen Geschäfte sind sofort zu zerstören . . . Synagogen in Brand zu stecken. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen. Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen.“

In ganz Deutschland beginnt eine Orgie der Gewalt: Jüdische Geschäfte und Wohnungen werden gestürmt, persönliche Habseligkeiten und Bücher vernichtet, Wertgegenstände wie Schmuck und Gemälde geraubt. In den Synagogen werden Kultgegenstände, Intarsien und Leuchter zerstört, die Gebäude in Brand gesetzt oder – wo ohne Gefahr für die nicht-jüdische Nachbarschaft möglich – sogar gesprengt.

Aufgehetzte Hitler-Jungen tun sich damit hervor, jüdische Gleichaltrige zu demütigen. Normale Bürger, nicht selten jahrzehntelang Nachbarn der Opfer, schließen sich den Plünderungen an. Die Mehrheit der Bevölkerung bleibt passiv. Ob daraus Angst, Scham oder Abscheu zu schließen ist oder aber stille Zustimmung, beschäftigt Historiker bis heute.

Feuerwehr und Polizei stehen wie befohlen beiseite. Nur wenige Ausnahmen sind überliefert. Die berühmteste: Wilhelm Krützfeld, Chef des Polizeireviers Berlin-Mitte, rettet die dortige Synagoge, indem er auf deren Denkmalschutz verweist, die SA durch die Polizei vertreiben lässt und die Feuerwehr einsetzt; außer einer Rüge bleibt er unbehelligt.

30 000 Juden werden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Viele verängstigte Juden, nicht selten Ehepaare, wählen den Freitod, bevor die Häscher ihrer habhaft werden. NS-Behörden sprechen von 91 jüdischen Todesopfern. Heute geht man von etwa 1300 aus, wenn man Zahlen aus einzelnen Orten hochrechnet; allein für Nürnberg sind neun Morde, zehn Selbstmorde und sieben „ungeklärte Todesfälle“ verbürgt.

Wer denkt, die Zerstörung von Gotteshäusern würde die christlichen Mitbrüder aufrütteln, der sieht sich getäuscht. Kein einziger öffentlicher Protest eines Bischofs ist überliefert. Die evangelische Kirche rechtfertigt die Aktionen sogar: „Ich bestreite mit keinem Wort das Recht, das Judentum als ein gefährliches Element zu bekämpfen“, erklärt der Württemberger Bischof Theophil Wurm. „Vom deutschen Volk wird die Macht der Juden im neuen Deutschland endgültig gebrochen“, jubelt sein Thüringer Amtsbruder Martin Sasse.

Für die Verbrechen während der Pogrome werden im Dritten Reich nur wenige Täter angeklagt – zwei etwa wegen Vergewaltigung. Aber nicht wegen dieser Straftat an sich, sondern wegen der „Rassenschande“, die die gewaltsame sexuelle Handlung mit einer jüdischen Frau gemäß der NS-Rassenideologie darstelle. Nach dem Krieg werden zwar mehr Täter vor Gericht gestellt, allerdings nur wegen Land- oder Hausfriedensbruchs; die Strafen betragen im Durchschnitt 16 bis 24 Monate.

Ein offizielles Erinnern auf bundesweiter Ebene bleibt nach 1945 zunächst aus. Erst 40 Jahre danach, am 9. November 1978, findet auf Initiative des Zentralrates der Juden in Deutschland eine zentrale Gedenkfeier in der Kölner Synagoge statt, an der Bundespräsident Walter Scheel und der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, teilnehmen. Hauptredner ist Bundeskanzler Helmut Schmidt. Seine eindringliche Ansprache von damals, die heute auf Youtube zu hören ist, wird die erste offizielle Stellungnahme eines deutschen Bundeskanzlers zu den Ereignissen von 1938. Der damals noch gängige Begriff „Reichskristallnacht” wird Schmidt bewusst nicht verwendet: „Ich mag für die Verbrechen jener Nacht jenes Wort nicht benutzen, das in diesen Tagen vielfältig, aber zum Teil eben auch gedankenlos, bagatellisierend für diese Ereignisse in Gebrauch ist.“ Damit ist Schmidt seiner Zeit voraus.

Denn die Bezeichnung dessen, was am 9. November 1938 geschieht, bereitet lange Zeit durchaus Schwierigkeiten. Zunächst ist der Begriff „Reichskristallnacht“ gebräuchlich. Anders als weithin angenommen, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine zynische Wortschöpfung der NS-Propaganda, sondern entstammt dem bekanntermaßen schnoddrigen Berliner Volksmund. „Kristallnacht“ bezieht sich auf die Glasscherben, mit denen Tags darauf der Bereich vor den Synagogen und jüdischen Geschäften übersät ist, die Vorsilbe „Reichs-“ ist eine bissige Kritik an dem inflationären Gebrauch des Wortes „Reich“ in jener Zeit. Bis in die 1980er Jahre bleibt der Begriff „Reichskristallnacht“ gebräuchlich; selbst die politisch unverdächtige Pop-Gruppe BAP nennt ihren gegen rechtes Denken gerichteten Song „Kristallnacht“.

Dennoch gerät dieser Begriff jedoch zunehmend in die Kritik. Angesichts der dem Pogrom folgenden Verbrechen wird er als euphemistisch, ja bagatellisierend angesehen. In den Jahren seither entwickelt sich in der Geschichtswissenschaft der Begriff „Novemberpogrome“. Der Zentralrat der Juden in Deutschland wählte für seine heutige zentrale Feierstunde in Berlin den Begriff „Reichspogromnacht“.

 

5.   Der 9. November 1989

Man stelle sich vor: Eine 3,60 Meter hohe Betonmauer, flankiert von Stacheldraht und Panzersperren, mitten durch Mannheim. Etwa entlang der Planken, direkt vor den Fenstern der Geschäftshäuser. Spaltung einer pulsierenden Großstadt und ihrer Bevölkerung. Und von Familien, die zueinander nicht mehr kommen können. Eine Grenzlinie, an der geschossen und gestorben wird, sobald man sie überwinden will. Ein Alptraum. Für die Millionenmetropole Berlin eine Realität, die am 13. August 1961 beginnt und 28 Jahre lang währt, bis zum 9. November 1989.

Rückblende: Nach Kriegsende 1945 ist Berlin wie ganz Deutschland in vier Besatzungszonen eingeteilt. Doch noch können sich die Menschen weitgehend frei bewegen. 1,6 Millionen DDR-Bürger nutzen dies zwischen 1949 und 1961 zur Flucht.

Sowjets und DDR wollen dieses Schlupfloch schließen. In der Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 verrät SED-Chef Walter Ulbricht unbewusst sich und seine Pläne. Die Journalistin Annamarie Doherr von der „Frankfurter Rundschau“ fragt, ob die „Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird“. Ulbricht antwortet: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Doch nach einer Mauer hatte sie gar nicht gefragt. Am 12. August 1961 unterzeichnet Ulbricht den Befehl zu ihrem Bau, der in der darauffolgenden Nacht erfolgt.

Anfangs sind Fluchten noch möglich. Am 15. August gelangt der 19-jährige Volksarmist Conrad Schumann mit einem Sprung über den Stacheldraht in den Westen; das Foto davon wird zur Ikone. Um die Welt geht auch die Szene vom 24. September: Die 77-jährige Frieda Schulze will aus dem Fenster des Hauses Bernauer Straße 25, das im Osten liegt, auf die Straße springen, die schon Westen verläuft. DDR-Uniformierte halten sie an den Armen, West-Berliner ziehen an den Beinen – sie fällt in ein Sprungtuch der West-Berliner Feuerwehr.

Bereits im August 1961 beschließt das SED-Politbüro, dass jeder Flüchtling „durch Anwendung der Waffe zur Ordnung gerufen wird.“ „Wer unsere Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren“, ergänzt 1966 Armee-Chef Heinz Hoffmann. Noch 1974 bekräftigt Erich Honecker: „Bei Grenzdurchbruchsversuchen muss von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden.“

Den spektakulärsten Fall markiert das Schicksal von Peter Fechter. Als der 18-Jährige am 17. August 1962 den Sperrzaun überklettert, ergießt sich ein Kugelhagel – insgesamt 35 Schüsse. Schwer verletzt bleibt er auf der Ostseite der Mauer liegen. DDR-Grenzer wollen ihm nicht helfen, West-Berliner kommen nicht an ihn heran. Hilflos muss die Menschenmenge, die sich auf der Westseite bildet, seine Schmerzensschreie anhören, bis diese nach einer Stunde erlöschen. Fechter verblutet und wird leblos weggetragen.

Selbst Kinder werden Opfer. 1975 fällt der fünfjährige türkische Junge Cetin beim Spielen am Ufer der Spree ins Wasser. Die West-Berliner Rettungsdienst ist schnell vor Ort, darf, kann jedoch nichts tun, da die Spree zum Ostsektor gehört. Machtlos muss er zusehen, wie der kleine Junge ertrinkt.

Letztes Opfer des Schießbefehls ist neun Monate vor dem Fall der Mauer Chris Gueffroy; am 5. Februar 1989 wird der 20-Jährige erschossen; die vier Todesschützen erhalten eine Belobigung sowie 150 DDR-Mark als Gratifikation.

145 Mauertote sind belegt, laut Historikern sind es mit Sicherheit weit mehr. Denn die DDR hat versucht, jeden Zwischenfall zu vertuschen.

Denn die Mauer bleibt für sie vor der Weltöffentlichkeit eine Achillesferse, die der Westen denn auch unablässig thematisiert. Als US-Präsident Ronald Reagan 1987 vor dem Brandenburger Tor spricht, fordert er: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“ Doch Honecker weiß: ohne Mauer keine DDR. Am 19. Januar 1989 erklärt er: „Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben.“ Er irrt sich.

Bald darauf spült die Geschichte zunächst ihn hinweg und dann die Mauer – durch einen Versprecher des Partei-Pressesprechers Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz, deren Verlauf und deren dramatische Folgen in unzähligen Dokus und Filmen ausführlichst beschrieben sind. Es ist der Abend des 9. November 1989.

Die Maueröffnung und der Tag, an dem sie erfolgt, der 9. November 1989, erhalten für die deutsche Geschichtspolitik ikonografische Bedeutung. Der 9. November 1989 ist der einzige 9. November in der deutschen Geschichte, der uneingeschränkt positiv zu bewerten ist.

In der Euphorie jener Wochen und Monate danach entsteht daher die Idee, den Tag des Mauerfalls als Ersatz für den – von zum Ritual erstarrten Gedenkfeiern geprägten – 17. Juni zum neuen Nationalfeiertag des wiedervereinigten Deutschlands zu erklären. Und in der Tat: Ist dieser 9. November 1989 mit seinem Mauerfall nicht ein Fanal der Freiheit und der Menschenrechte – so wie der 14. Juli 1789 in Frankreich und der 4. Juli 1776 in den Vereinigten Staaten? Ist es nicht angemessen, ihn umfassend und ausgelassen zu feiern?

Ohne Zweifel. Dennoch kommen Bedenken auf. Denn dieser Tag hat eben auch noch eine ganz andere Konnotation: Kann man wie Franzosen am 14. Juli und Amerikaner am 4. Juli im ganzen Land fröhlich, ja ausgelassen einen Tag feiern, an dem gerade mal 50 Jahre zuvor in Deutschland Synagogen brannten und Menschen wegen ihres Glaubens ermordet wurden? Bald wird klar, dass dies nicht denkbar ist.

Neuer Nationalfeiertag wird der 3. Oktober, der Tag der staatsrechtlichen Vereinigung beider deutscher Staaten. Ein Ereignis ohne jede emotionale Bindungskraft. Aber damit irgendwie ja auch symptomatisch für den eher nüchternen Umgang der Deutschen mit den Jahrestagen ihrer Geschichte. Dazu noch anders als bei Amerikanern und Franzosen ein Tag nicht im Sommer, sondern im Herbst. Wettermäßig ungeeignet für öffentliche Straßenfeste oder private Gartenpartys, höchstens für Indoor-Veranstaltungen für Feierstunden mit vielen Reden. Und damit ja irgendwie ebenfalls symptomatisch für unsere Erinnerungskultur.

 

6.   Erinnerungskultur

Der Begriff Erinnerungskultur ist so jung wie die Sache, die er beschreibt. Sie bildet sich als Folge des Generationswechsels in der deutschen Bevölkerung erst seit den 70er Jahren allmählich, oft mühsam und teilweise auch ausgesprochen schmerzhaft heraus.

Unmittelbar nach Ende der NS-Diktatur spielt die Frage der Erinnerungskultur noch keine Rolle. Abgesehen davon, dass es die Not einer Nachkriegszeit zu bewältigen gilt, geht es bei der Aufarbeitung der NS-Diktatur zunächst darum, die Täter zu bestrafen und die ideologischen Wurzeln ihrer Verbrechen zu beseitigen. Was die für Krieg und Holocaust politisch Hauptverantwortlichen angeht, gelingt dies. Hitler, Goebbels und Himmler, später auch Göring, entziehen sich bereits eigenhändig durch Selbstmord ihrer irdischen Verantwortung. Die übrige Führungselite des NS-Regimes wird in Nürnberg vor Gericht gestellt und mit Strafen bedacht, über deren angemessenes Maß Historiker seither intensiv und kontrovers diskutieren. Das Ergebnis allerdings ist völlig eindeutig: Kein führender Vertreter des NS-Regimes kann nach 1945 eine Funktion in der deutschen Politik einnehmen.

Allerdings gilt dieser Befund nicht für untere Chargen innerhalb des Staates und der NSDAP. Es gibt das Bonmot, wonach im ersten Kabinett Adenauer 1949 mehr NSDAP-Mitglieder gesessen hätten als im ersten Kabinett Hitler 1933. Und es gibt spektakuläre Einzelfälle, die diesen Befund zu unterstreichen scheinen: Hans Globke, der die Nürnberger Rassegesetze von 1935 sprachlich ausformuliert, wird unter Adenauer Chef des Bundeskanzleramtes und Koordinator der deutschen Geheimdienste; Theodor Oberländer, schon 1923 beim Hitler-Putsch in München dabei und verdächtig, während des Russland-Feldzuges an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, wird Vertriebenenminister; Kurt Georg Kiesinger, NSDAP-Mitglied und während des Krieges in der Propagandaabteilung des Auswärtigen Amtes tätig, wird noch Mitte der 1960er Jahre Bundeskanzler; Hans Filbinger, Marinerichter und damit für mindestens ein Todesurteil persönlich verantwortlich, bleibt bis 1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Das alles mag verstörend sein, das Gerechtigkeitsempfinden von Menschen zutiefst verletzen. Die demokratische Entwicklung Deutschlands jedoch hat es nicht behindert geschweige denn verhindert. Nicht wenige Historiker sind sogar der Ansicht, die Einbindung der zahlreichen, sofern nicht persönlich eines Verbrechens schuldigen „Ehemaligen“ sei eine der Voraussetzungen für das Gelingen der zweiten deutschen Demokratie. Deren Argumentation lautet, die NSDAP habe in ihren Hoch-Zeiten sechs Millionen Mitglieder verzeichnet. Mit Familienangehörigen seien dies mindestens 20 Millionen Deutsche, die in irgendeiner Weise in eine NSDAP-Mitgliedschaft involviert seien. Ohne oder gar gegen diese 20 Millionen Menschen wäre der Aufbau eines demokratischen Systems nicht möglich gewesen.

Nicht gelungen ist der grundlegende personelle Wechsel dagegen in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, vor allem in der Wirtschaft und der Justiz. Zahlreiche Richter der Nachkriegsjahrzehnte auch an obersten deutschen Gerichten wie dem Bundesgerichtshof und sogar dem Bundesverfassungsgericht müssen als politisch belastet gelten. Hans Filbingers legendäre Äußerung „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ ist in der deutschen Justiz in der Tat jahrzehntelang gültiger Grundsatz bei der Beurteilung dessen, wie sich Richter und Staatsanwälte im Dritten Reich verhalten hatten.

So bezog die Witwe von Roland Freisler, des bei einem Bombenangriff im Februar 1945 umgekommenen berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofes, bis zu ihrem Tode 1997 eine Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz und zusätzlich auch noch einen Berufsschadensausgleich. Interessant ist die Begründung: Es müsse unterstellt werden, dass Freisler, wenn er den Krieg überlebt hätte, als Beamter des höheren Dienstes ein hohes Einkommen erzielt hätte. Die Witwe von Reinhard Heydrich, des bei einem Attentat 1942 umgekommenen Mit-Organisators des Holocaust, erhält bis zu ihrem Tode 1985 die Bezüge der Witwe eines im Krieg gefallenen Generals. Denn ihr Ehemann habe innerhalb der SS einen Rang inne, der dem eines Generals entspreche. Dieser müsse daher auch Grundlage der Renten-Berechnung sein, heißt es damals.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht bei Erwähnung dieser Umstände nicht um irgendeine Form von Sippenhaft, auch wenn die Witwen dieser beiden Schreibtischtäter die Verbrechen ihrer Ehemänner stets negieren oder rechtfertigen. Es geht darum, die Stimmung aufzuzeigen, die in den 1950er Jahren bis weit hinein in die 1960er Jahre vorherrschend ist.

In den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik ist die Sicht auf das Dritte Reich eben eine völlig andere als heute. Für die Verbrechen verantwortlich gemacht wird eine angeblich winzig kleine Clique von Verbrechern, die, so die damalige Darstellung, sich teils propagandistisch geschickt, teils mit Mitteln der Unterdrückung gewaltsam des deutschen Volkes bemächtigt habe. An deren Spitze Hitler, der als ein in den Teppich beißender Despot und damit so weit wie irgend möglich von dem normalen Deutschen entfernt dargestellt wird. Ja, die Verbrechen seien schrecklich gewesen, aber die Mehrheit der Deutschen habe damit nichts zu tun. Bis in die 1990er Jahre spricht sogar Bundeskanzler Helmut Kohl, obwohl rechten Gedankengutes völlig unverdächtig, stets von „Verbrechen in deutschem Namen“ statt von „Verbrechen von Deutschen“, die es ja waren.

Kennzeichnend für diese Stimmung ist die Sicht auf die Attentäter des 20. Juli. Während sie offiziell als Helden verehrt werden – viel andere bieten sich ja auch nicht an – , gelten sie in weiten Teilen der Kriegsgeneration, besonders bei den ehemaligen Soldaten der Wehrmacht, auch nach dem Kriege noch als Verräter. Kinder von Akteuren des 20. Juli berichten, wie sie in den 1950er Jahren in der Schule von immer noch NS-nahen Lehrern gedemütigt werden: „Da kommt ja unser Verräterkind“, lautet eine der Formulierungen solcher Lehrer.

Eine grundsätzliche Zäsur im Bewusstsein der Bevölkerung bringen Ende der 1970er Jahren nicht historisch-wissenschaftliche  Veröffentlichungen oder öffentliche politische Diskurse, sondern eine Hollywood-Produktion: die amerikanische Filmserie „Holocaust“, die die Geschichte einer fiktiven jüdischen Familie Weiß thematisiert. Im Vorfeld der Ausstrahlung kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der ARD, die ja aus den Rundfunkanstalten der einzelnen Bundesländer besteht, also NDR, WDR, HR usw. Einer von ihnen, und zwar der Bayerische Rundfunk, wehrt sich heftig gegen die Serie und droht, sich bei einer Ausstrahlung im ersten Fernsehprogramm aus diesem auszuklinken, womit der Bildschirm für Zuschauer in Bayern dunkel bleiben würde. Somit kann die Serie nicht im ersten Programm erscheinen, sondern lediglich in den dritten Fernsehprogrammen, wobei der Bayerische Rundfunk auch hier nicht mitmacht, sondern ein Ersatz-Programm zeigt.

Einen tiefen Einschnitt in der Erinnerungskultur der Nachkriegszeit bildet die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag. Sie stellt zwar lediglich eine Zusammenfassung von sattsam bekannten historischen Sachverhalten dar, die nahezu die gesamte historische Wissenschaft und weite Teile des politischen Spektrums bereits seit langem vertreten. Doch das Besondere daran ist, dass dies alles jetzt erstmals der oberste Repräsentant des Staates öffentlich ausspricht – bis hin zu der zentralen Erkenntnis: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“ Damit gilt dies in der politischen Kultur der Bundesrepublik als gesetzt.

Zwei weitere wichtige Ereignisse folgen. Das erste 1995: die Wanderausstellung „Verbrechen der Deutschen Wehrmacht“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Diese zerstört endgültig den Mythos von der im Gegensatz zur SS „sauberen Wehrmacht“ – ein Mythos, der selbst in Kriegsfilmen aus den USA und Großbritannien lange gepflegt wird. Das zweite ist 1996 das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ des damals jungen amerikanischen Politologen Daniel Goldhagen, der einen gesamtgesellschaftlichen deutschen Antisemitismus als zentrale Triebkraft des Holocaust ausmacht. Beide führen zu intensiven, teils emotionalen Debatten nicht nur in der Historikerschaft, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.

Begleitet wird diese akademische Form der Aufarbeitung von einer breiten Denkmalskultur. Höhepunkt ist das Holocaust-Mahnmal in Berlin; dies gegen alle Widerstände durchgesetzt haben, ist das bleibende Verdienst von Bundeskanzler Helmut Kohl. Heute gibt es in nahezu jeder Stadt eine Gedenkstätte, die an den Holocaust erinnert, in Mannheim den Glas-Kubus auf den Planken, bewusst im Herzen der Quadratestadt. Sogenannte Stolpersteine erinnern auch in Vororten von Großstädten und kleinen Gemeinden an Opfer der NS-Diktatur, die in den betreffenden Häusern gelebt haben. In zahlreichen Großstädten entstehen bis heute Neubauten von Synagogen, die zur Heimat eines wieder erstandenen jüdischen Lebens werden. Die wenigen Synagogen, die die Novemberpogrome überstehen, werden saniert, wie diese hier in Leutershausen auf so ganz wunderbarer Weise. Doch so wunderschön dieses Gebäude ist, so bleibt doch eine große Melancholie, ja eine bedrückende Leere: Sie ist ein Kulturzentrum, kein Ort jüdischen Lebens. Denn ein solches gibt es eben nicht mehr.

Zugleich werden die Protagonisten von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus von den Namen von Straßen und Einrichtungen getilgt, die sie übrigens zumeist erst nach dem Kriege erhalten. So gibt es bis in die jüngste Vergangenheit noch Rommel-Kasernen und Hindenburgstraßen. Dieser Prozess beginnt gerade erst und ist sehr mühsam, ja konfliktreich. In Berlin stehen 250 Straßen zur Umbenennung an, in Heidelberg neun, in Mannheim vier. Umbenannt sind in Mannheim auch bereits mehrere Einrichtungen, so unter anderem das Peter-Petersen-Gymnasium und die Carl-Diem-Halle.

Ja, Carl Diem. Als seine schlimmste Untat gilt seine sogenannte „Sparta-Rede“ vom 18. März 1945. Vor Angehörigen der Hitler-Jugend ruft der NS-Sportfunktionär sieben Wochen vor der Kapitulation im Olympia-Gelände des bereits nahezu vollständig zerstörten Berlins zu einem „finalen Opfergang für den Führer“ auf. Während das Artilleriefeuer der anrückenden Roten Armee schon zu hören ist, zitiert Diem ein Dichterwort aus dem antiken Sparta: „Schön ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland stirbt.“ Von Diem angestachelt, der als Organisator der Olympischen Spiele von 1936 ihr Idol ist, versuchen seine jugendlichen Zuhörer, viele erst 13 oder 14 Jahre alt, in den Tagen danach sowjetische Panzer mit primitivsten Mitteln aufzuhalten – und unter Einsatz ihres jungen Lebens. Viele verlieren es.

Angesichts dessen entscheidet die Stadt Mannheim, dass dieser bis zum Schluss fanatische Nationalsozialist nicht würdig ist, dass eine Halle, in der vor allem junge Menschen Sport treiben, noch länger seinen Namen trägt. 1997 verliert die Carl-Diem-Halle in Mannheim ihren Namen, 2009 die Diem-Straße in Heidelberg-Kirchheim. In Hirschberg jedoch wird dieser bis zuletzt fanatische Nationalsozialist nach wie vor mit einem Straßennamen geehrt. Gemäß mehrfacher Bekundung sehen weder Kommunalpolitik noch Zivilgesellschaft in dieser Gemeinde Handlungsbedarf.

Flankiert wird die Erinnerungskultur seit Jahrzehnten durch eine breite Aufklärungsarbeit, vor allem durch unzählige historische Ausstellungen und Fernsehsendungen. Im Schulunterricht sind die NS-Diktatur und der Holocaust, im diametralen Gegensatz zu den ersten Nachkriegsjahrzehnten, ein zentrales Thema. Von engagierten Lehrerinnen und Lehrern werden Zeitzeugen, zuweilen auch ehemalige Verfolgte und Überlebende des Holocaust, eingeladen, um über ihr Schicksal zu berichten, sogar Besuche von Schulklassen auch in ehemaligen Konzentrationslagern organisiert. Zu den betreffenden Jahrestagen finden Gedenkveranstaltungen statt – von der Bundebene mit den Spitzen des Staates bis in jede noch so kleine Gemeinde wie heute Abend hier in Hirschberg.

Und dass es diese gibt, das ist wichtig, ja unerlässlich. Und dennoch wird gerade von den dafür haupt- und ehrenamtlich Engagierten immer stärker die Frage nach der Effektivität aufgeworfen. Nach Untersuchungen aus diesem Herbst verfügen acht Prozent der deutschen Bevölkerung über ein geschlossenes und weitere 20 Prozent über ein teilweise rechtsextremistisches Weltbild. Das alles sind Menschen, die unsere seit den 1970er Jahren etablierte Bildungsarbeit und Erinnerungskultur durchlaufen haben.

Einer der Zweifelnden ist Volker Doberstein von der Formation „Enjoy Jazz“ in Mannheim. Er umrahmt die Eröffnungsfeiern für die Ausstellungen des Mannheimer Fotografen Luigi Toscano, der Holocaust-Überlebende in aller Welt fotografiert und diese Fotos großflächig ausstellt. Bei einer Ausstellungseröffnung in Mannheim vor genau einem Jahr stellt dieser engagierte Mann sich und den Zuhörern die entscheidende Frage: „Wenn Judenfeindlichkeit in diesem Land zunimmt – müssen wir uns da nicht eingestehen, dass unsere seit Jahrzehnten praktizierte Form einer administrierten Erinnerungskultur gescheitert ist? Wäre hier nicht ein grundlegendes Umdenken hilfreich?“ Eine Antwort darauf hat er so wenig wie ich oder Sie alle hier.

 

7.   Conclusio

Trotz aller Probleme bin ich, das mag sie vielleicht überraschen, für den Erfolg der Arbeit der Erinnerungskultur optimistisch. Vielleicht habe ich als Historiker ja eine langfristigere Perspektive, sehe daher vor allem, was bisher erreicht ist. Wer hätte 1938 oder 1945 gedacht, dass das Brandenburger Tor in Berlin, durch das am Abend der Machtergreifung vom 30. Januar 1933 Tausende von Braunhemden marschiert sind, im Oktober des Jahres 2023 aus Solidarität zum Staat Israel mit dem Davidstern angestrahlt wird – jenem Symbol, das als gelben Stern jüdische Bürger während des Dritten Reiches als Zeichen ihrer brutalen Ausgrenzung tragen mussten, die schon bald in eine massenhafte Ermordung mündete? Der Davidstern am Brandenburger Tor in Berlin – jeder, der über ein Gespür für historische Momente und historische Prozesse verfügt, der spürt die Besonderheit dieser Symbolik.

Ein zweites Beispiel: Wer hätte 1945 gedacht, dass der Deutsche Bundestag ungeachtet der Polarisierung, die in der deutschen Politik aktuell herrscht, einstimmig, sogar mit den Stimmen von AfD und Linkspartei, eine Resolution verabschiedet, in der die Existenz des Staates Israel als Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet wird?

Ja, es gibt antisemitische Vorfälle, sehr viele, viel zu viele. Trotzdem ist die Zeit heute in keinster Weise mit 1938 zu vergleichen. Bei der zentralen Gedenkstunde heute Vormittag in der Berliner Synagoge bringt es der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, auf den Punkt: „1938 organisierte der Stadt den Pogrom, heute schützt der deutsche Staat die jüdische Gemeinschaft.“ Beim Pogrom m 9. November 1938 schauen Polizei und Feuerwehr bewusst weg oder beteiligten sich sogar daran, heute schützen deutsche Polizisten jüdische Einrichtungen, im Ernstfall mit ihrem Leben. Wie auch heute Abend hier vor dieser Veranstaltungsstätte – dafür auch von mir einen ganz herzlichen Dank!

Auch der Vergleich zwischen der Bundesrepublik heute und der Weimarer Republik greift nicht: Heute sind die prägenden Persönlichkeiten in Staat und Verwaltung, Sicherheitsdiensten und Wirtschaft, Medien und Kultur durch und durch demokratisch gesonnen und frei von jedem Antisemitismus – ein zentraler Unterschied zur Weimarer Republik.

Ja, es mag 20, in einzelnen Bundesländern Ostdeutschlands sogar 30 Prozent der Wähler geben, die sich laut Umfragen zu rechtspopulistischen Parteien bekennen. Aber das bedeutet eben auch, dass 70 oder gar 80 Prozent dies nicht tun. „Deutschland will nach wie vor, auch in der Krise, aus der Mitte heraus regiert werden“, lautet die Bilanz, die der Politikwissenschaftler Karl Rudolf Korte aus dem Landtagswahljahr 2023 zieht. Und er fügt hinzu: „Und das wird aller Voraussicht nach auch so bleiben. Und dies macht Deutschland zu einer Insel der demokratischen Stabilität in Europa.“

Und in der Tat: Im europäischen, vom internationalen Rahmen ganz zu schweigen, ist Deutschland eine stabile Insel der Demokratie. Blicken wir uns um: Ausgerechnet in den Wohlfahrtsstaaten  Skandinaviens, vor allem in Schweden und in Finnland, sind rechtspopulistische Parteien seit langem eine entscheidende politische Kraft; in Italien regiert eine Rechtspopulistin als Ministerpräsidentin; in Frankreich zwingt eine Rechtspopulistin einen amtierenden Staatschef in die Stichwahl, in der sie von diesem nur knapp besiegt werden kann; in Großbritannien sorgt eine rechtspopulistische Kampagne dafür, dass das Land ein zentrales Element multilateraler Politikgestaltung, die Mitgliedschaft in der EU, aufgeben muss. Und wie in den Vereinigten Staaten im kommenden Jahr die Präsidentschaftswahlen ausgehen, ist nach allem, was wir wissen, völlig ungewiss. Von derartigen Gestaltungsfunktionen sind Rechtspopulisten in Deutschland doch meilenweit entfernt. Machen wir uns als Demokraten in Deutschland also nicht klein!

Der große Publizist Sebastian Haffner sagt einmal über den Untergang der Weimarer Republik: „Sie ist nicht gescheitert, weil es 1933 zu viele Nazis gab, sondern zu wenige Demokraten.“ Francois Mitterrand, der als französischer Staatspräsident in den 1980er Jahren durch den Vater von Madame Le Pen erstmals mit dem Rechtspopulismus konfrontiert ist, formuliert einmal ähnlich: „Eine Demokratie kann 49 Prozent Demokratie-Feinde ertragen, wenn sie über 51 Prozent überzeugte Demokraten verfügt.“ Eine zugegebenermaßen sehr überspitzte Formulierung. Abgewogener und, wie es eben seine Art ist, dennoch auf den Punkt bringend, formuliert es dagegen Barack Obama: „Democracy will win, if we fight for it“  – die Demokratie kann erhalten werden, wenn wir für sie eintreten.

Lassen Sie uns das tun. Denn gerade der heutige Jahrestag lehrt uns: Nur die Demokratie bedeutet Freiheit, Frieden und Wohlstand – für unser eigenes Land und für die Welt.

In diesem Sinne: Shalom!

© 2023 Konstantin Groß

Konstantin Groß, Jahrgang 1964, studierte Geschichts- und Politikwissenschaften, ist Autor von 30 lokal- und regionalhistorischen Buchveröffentlichungen, und hauptberuflich seit 40 Jahren journalistisch tätig, davon seit 30 Jahren als Redakteur der Tageszeitung „Mannheimer Morgen“.

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