Die Synagoge von Leutershausen im Wandel der Zeit

Rede von Professor Erhard Schnurr am 16. September 2018 anlässlich des 150. Jahrestages der Einweihung der Synagoge Leutershausen

150 Jahre Synagoge in Leutershausen, das ist ein Grund zur Freude. Nicht nur wegen der 150 Jahre, sondern auch darüber, dass und wie dieses Gebäude die 150 Jahre seiner sehr wechselvollen Geschichte überstanden hat.

Es haben ja nicht viele Synagogen die Nazizeit und die nachfolgenden „Anpassungen“ durch Abriss in den Nachkriegsjahren überstanden.

Es ist daher angebracht, sich bei diesem Jubiläum den ‚Lebenslauf‘ dieses Gebäudes, auch abseits der zeitlichen Abläufe, näher anzusehen, und wie es nicht nur sein Äußeres, sondern auch seine Funktion in diesen 150 Jahren verändert hat.

Die 150 Jahre lassen sich in drei ganz unterschiedliche Perioden einteilen:

  • – die Nutzung des Hauses als Synagoge der jüdischen Gemeinde von 1868 bis 1938,
  • – die unterschiedliche, meist gewerbliche Nutzung in der Zeit von 1938 bis in die Mitte der 1990er Jahre und
  • – die gegenwärtige Nutzung als ‚Haus der Kultur und der Begegnung‘ seit der feierlichen Wiedereröffnung im November 2001.

Wir sollten aber bei dieser Zeitreise das Umfeld nicht außer Acht lassen und dieses Umfeld ebenfalls in unsere Betrachtungen einbeziehen.

Gehen wir zurück in das Jahr 1868; das damalige Umfeld lässt sich am besten darstellen, wenn wir uns den Inhalt der Grundstein-Urkunde aus dem Jahr 1867 vornehmen, denn hier finden wir eine Beschreibung der Verhältnisse in Leutershausen aus der Sicht der jüdischen Gemeinde:

Wir lernen aus der Urkunde, dass sich in den Jahren seit 1806 die Zahl der jüdischen Familien nahezu verdoppelt hatte und deswegen der Neubau einer Synagoge erforderlich war.

Wir erfahren auch, dass die Zahl der Juden in Leutershausen 165 betrug, die Zahl der Protestanten 763 war und die Zahl der Katholiken 505. Daraus folgt, dass die Juden in Leutershausen im Jahr 1887 11,5 % der Bevölkerung ausmachten.

Weiter wird dem badischen Großherzog ausdrücklich großer Dank entgegengebracht, hatte er doch 1862 die endgültige Gleichberechtigung der Juden in Baden durchgesetzt.

Zur Bevölkerung Leutershausens hebt die Urkunde hervor: „… besonders religiöse Duldung sind die Charaktere der Einwohner.“

Es mag gerechtfertigt sein, hieraus zu folgern, dass das Verhältnis zwischen Juden und den Nicht-Juden nicht wesentlich gestört war.

Wozu dient einer jüdischen Gemeinde eine Synagoge? Und wie wird sie genutzt?

Wir wissen nicht genau, wie und wozu die jüdische hiesige Gemeinde diese Synagoge im Einzelnen nutzte, betrachten wir daher eine Synagoge allgemein.

Eine Synagoge ist aus unserer Sicht zuerst und vor allem ein Haus des Gebetes, aber eine Synagoge hatte schon immer andere wichtige Funktionen.

Wenn wir das aus dem griechischen stammende Wort Synagoge wörtlich übersetzen, dann bedeutet es einen Ort, an dem man „etwas gemeinsam tut“. Eine solche Bezeichnung lässt ich nun auf viele Räume oder Gebäude anwenden. Wenn wir das Wort aber näher unter die Lupe nehmen, dann erkennen wir, dass das alt-griechische Verb ‚ ἄγειν/agein‘ nicht nur ‚etwas tun‘ bedeutet, sondern abhängig vom jeweiligen Kontext eine Reihe unterschiedlicher Bedeutungen annehmen kann. Es kann dann als ‚anleiten‘, ‚erziehen‘ ‚belehren‘, oder ‚hinführen‘ übersetzt werden. Wir kennen diesen Zusammenhang von dem Wort Pädagoge, dies beschreibt jemand, der Kinder erzieht, anleitet, belehrt.

Aber in der Synagoge wurde nicht nur gebetet und das Gelehrte aufgenommen, sondern auch diskutiert. Die jüdische Religion kennt keine oberste Autorität für die Auslegung der heiligen Schriften, jeder Jude muss sich seine Auslegung selbst erarbeiten, meist mit Hilfe zahlreicher Kommentare. Die Schrift selbst bleibt unverändert („kein Iota wird geändert“) Deswegen studiert der fromme Jude immer wieder die heiligen Schriften und deren Kommentare und definiert dann seine eigene Auslegung. Diese Auslegung bespricht oder diskutiert er dann in der Synagoge mit Anderen.

In einem Nachruf auf einen jüdischen Lehrer in der Pfalz wird im Januar 1929 in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung dieser Lern- und Austauschprozess beschrieben: “… In dieser Zeit konnte er der Beschaulichkeit seiner Lieblingsbeschäftigung sich ungestört widmen, dem jüdischen Studium. Sein innig religiöser Sinn, seine Herzensfrömmigkeit führten ihn dazu, täglich für sich und oft auch mit gleichgesinnten Kollegen und Freunden zu „lernen“. Dazu war er umsomehr befähigt, da er von Jugend auf in einem frommen Elternhause „gelernt“ hatte…“ (Nachruf auf den Lehrer Jakob Frank, Rockenhausen)

Wenn wir zu dieser Aussage das christliche Neue Testament heranziehen, dann findend wir auch hier den hohen Stellenwert der Lehre in der Synagoge, jedermann war offenbar auch berechtigt, seine Auslegung öffentlich darzulegen und zur Diskussion zu stellen. Dass diese Diskussionen bisweilen heftig und in Einzelfällen bis zu Handgreiflichkeiten führten, wissen wir aus der Apostelgeschichte: Stephanus bezahlte für seine Auslegungen der Schriften mit seinem Leben.

Eine weitere wichtige Funktion der Synagoge war, als Raum für den Schulunterricht zu dienen. Jüdische Kinder wurden schon immer im Lesen und Schreiben unterrichtet, um aus den schon genannten Gründen die heiligen Schriften selbst lesen zu können und bei Gottesdiensten aus der Thora vorlesen zu können. Nicht von Ungefähr wird die Synagoge im Jiddischen ‚Schul‘ genannt; da der deutschsprachige Anteil des Jiddischen der mittelalterliche Dialekt aus dem 13. Jahrhundert aus unserer Region ist, scheint sicher zu sein, dass die Funktion als Unterrichtsstätte für die Synagoge schon immer vorhanden war. Bis zur Einführung der Simultanschule war der Schulunterricht weitgehend in der Hand der christlichen Kirchen und deshalb für die Juden nicht zugänglich. Nach der Einführung der Simultanschule in Baden diente die jüdische Schule dann nur noch dem Religionsunterricht. Es gibt Überlieferungen für Leutershausen, dass der Betraum in der Hauptstraße 1 umgangssprachlich als „Judenschule“ bezeichnet wurde.

In dieser Synagoge fand jedoch nie ein israelitischer Schulunterricht oder ein Religionsunterricht statt, denn die hiesige jüdische Gemeinde war in der komfortablen Situation, seit 1858 – also schon zehn Jahre vor der Einweihung dieser Synagoge – ein eigenes Schulhaus mit Lehrerwohnung in der Mittelgasse zu besitzen.

Unter diesen Voraussetzungen wurde somit in der damaligen Synagoge bis in die Nazizeit gebetet, gelehrt, gelernt und diskutiert. Parallel hierzu kam es aber zu nachhaltigen Veränderungen im Umfeld dieser Synagoge. Im Jahr 1900, also nur 32 Jahre nach der feierlichen Einweihung des Gebäudes, betrug die Zahl der jüdischen Bürger in Leutershausen nur noch 68 Personen. Wie kam es zu dieser dramatischen Abnahme der jüdischen Bevölkerung in Leutershausen?

Die schon erwähnte Gleichstellung und Freizügigkeit der Juden seit 1862, die Gründung des Deutschen Kaiserreichs unter preußischer Führung 1871 und der damit verbundene wirtschaftliche und industrielle Aufschwung führten zu einer Binnenwanderung der jüdischen Land-Bevölkerung in die Großstädte. Vor allem die aufstrebende Industriestadt Mannheim in nächster Nähe war ein Magnet für die jüdische Zuwanderung. Während die umliegenden Landgemeinden zahlenmäßig abnahmen, kam es fast zu einer Verdoppelung der Zahl der Juden in Mannheim. Der 1842 angelegte neue jüdische Friedhof in Mannheim konnte so zum heute größten jüdischen Friedhof in Baden-Württemberg werden.

Die Auswanderung spielte ebenfalls noch eine Rolle, alle hiesigen jüdischen Familien hatten bereits Verwandte in den USA, die als Anlaufstelle dienten und die Integration erleichterten.

Von 1900 bis 1933 nahm die Zahl der Juden in Leutershausen aus den genannten Gründen von 68 auf 43 Personen ab, einige jüdische Familien sind in dieser Zeit völlig aus Leutershausen verschwunden. Mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft begannen erneut die Auswanderungen und der Umzug in die Großstädte zuzunehmen; wer nicht auswanderte glaubte in der Anonymität der Großstädte sicherer zu sein. 1936 konnte beim Abschied des Lehrers Meier Heller die gesamte jüdische Gemeinde auf der Treppe der Synagoge Platz finden, es waren noch 23 Personen.

1937 endete das jüdische Leben in Leutershausen, die jüdische Gemeinde löste sich auf; im April 1938 wurde die Synagoge an die politische Gemeinde verkauft, der Kaufpreis betrug 4500 RM. Der damalige Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Eugen Strassburger, saß bei der Unterschrift unter den Kaufvertag vermutlich schon auf gepackten Koffern, denn nur zwei Monate später wurde er zusammen mit seiner Familie und seiner Schwester Lisa als Einwanderer im Hafen von New York registriert.

Damit endete die erste Phase der Geschichte dieses Hauses.

Nachdem die Synagoge in das Eigentum der politischen Gemeinde Leutershausen übergegangen war, kam es am 9. November 1938, dem November-Pogrom (Reichskristallnacht), zu einem Ereignis mit positivem Ausgang. SA-Männer aus Ladenburg waren gekommen, um die hiesige Synagoge zu demolieren, beherzte Nachbarn klärten sie aber über die geänderten Besitzverhältnisse auf. Auf die Frage der SA-Leute nach Wohnungen von Juden wurde ihnen geantwortet, diese seien alle schon weggezogen. Die Familien Strassburger und Stiefel saßen aber in abgedunkelten Hinterzimmern in ihren Häusern und haben so die Pogromnacht unbeschadet überstanden (Information von Alfred Strassburger).

Auf die unterschiedliche Nutzung des Gebäudes als Gefangenenlager, Konservenfabrik und Druckerei in dieser Periode hat unser Bürgermeister Just bereits hingewiesen.

So unterschiedlich wie die Nutzung der Synagoge waren auch die Besitzverhältnisse. Nach dem Krieg sollte die Gemeinde Leutershausen als Eigentümerin den Betrag von 20.000 DM nachbezahlen, da der Kaufpreis 1938 als zu niedrig erachtet wurde. Der Gemeinderat lehnte es ab, die Synagoge „erneut zu kaufen“, so ging das Gebäude an einen Fonds über, der das frühere jüdische Eigentum in der Bundesrepublik übernahm.

Einige Jahr später verkaufte dieser Fonds das Haus an das Land Baden-Württemberg, später ging das Gebäude an einen der Gewerbetreibenden über. 1985 kaufte die Gemeinde Hirschberg das Haus aus einer Konkursmasse, vermietete das Gebäude aber zunächst weiter an eine Druckerei.
1977 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Die ehemalige Synagoge wurde auf die Liste der Gedenkstätten des Landes Baden-Württemberg gesetzt.

Diese unterschiedliche Nutzung und die unterschiedlichen Besitzverhältnisse führten dazu, dass Umbauten und Renovierungen auf das unbedingt Notwendige beschränkt wurden. Dies hatte Vor- und Nachteile für das Gebäude. Von Nachteil war, dass das Haus dadurch insgesamt in einem heruntergekommenen Zustand war, ein unschätzbarere Vorteil war aber, dass wesentliche Eingriffe in die Substanz nicht erfolgten und die in den 1990er Jahren begonnene Wiederherstellung im Format der früheren Synagoge ermöglichte. Wäre die damalige Synagoge 1938 in ein Wohnhaus umgewandelt worden, wären wir heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht hier.

Durch die geschilderten Situation war es möglich, dass die damals gerade in Mode gekommenen gusseisernen Säulen erhalten geblieben sind, die alte Treppe zur Empore mit dem dort verlegten Fußboden im Wesentlichen unverändert blieb und dass die beiden mittleren Fenster an der Südseite im Originalzustand erhalten geblieben sind. Auch das offene Dachgebälk mit seinen Schnitzereien ist erhalten geblieben und die heutige Farbfassung lehnt sich an Restfunde der alten Ausstattung an.

1996 beschloss der Gemeinderat, die ehemalige Synagoge in der heutigen Form wiederherzustellen, dies leitete in die dritte Lebensperiode dieses Gebäudes über.

Die dritte Lebensphase der Synagoge begann am 11. November 2001. Das Haus wurde nach der Instandsetzung als “Haus der Kultur und der Begegnung“ eröffnet.

Diese Namensgebung lässt sich mit den Funktionen der damaligen Synagoge verknüpfen. Natürlich ist sie heute kein Haus des Gebets mehr, aber es ist ein Haus der Lehre, der anregenden Diskussion und bietet ein weites Spektrum kultureller Angebote, einschließlich Musik, Kunst, und Vorträge zur jüdischen Geschichte und Kultur.

Herr Bürgermeister Just hat auf die Bedeutung der „Begegnung“ hingewiesen, das Haus war eine Art Gemeindezentrum der damaligen jüdischen Gemeinde, heute ist dieses Haus ein Gemeindezentrum in kultureller Hinsicht geworden. Und dies über die Grenzen der Gemeinde Hirschberg hinaus.

So sind in dieser ehemaligen Synagoge nicht nur Bauteile der damaligen Synagoge erhalten geblieben, sie hat auch teilweise deren Funktion, wenn auch in geänderten Inhalten, übernommen. Damit steht das Gebäude heute durchaus in der Tradition der damaligen Synagoge.

Diese ehemalige Synagoge hat aber auch heute eine Funktion, die zwar im Vergleich zu damals nicht neu ist, im Licht der schrecklichen Jahre des Nationalsozialismus mit der grausamen Verfolgung und Vernichtung der Juden jedoch eine andere Bedeutung gewonnen hat: Diese ehemalige Synagoge ist eine Manifestation in Stein für die etwa 450 Jahre dauernde Geschichte der Juden in Hirschberg. Diese Geschichte geht weit hinter das Jahr der Erbauung dieser Synagoge zurück, sowohl für Leutershausen als auch für Großsachsen lässt sich die jüdische Geschichte bis in die Jahre um 1560 zurückverfolgen.

Dieses Haus ist aber auch ein Zeichen für die Emanzipation, die erfolgreiche Integration und das Selbstbewusstsein der Juden in Leutershausen. Emanzipation, Integration und Selbstbewusstsein waren hier sicher schon lange Zeit vor der nur sechs Jahre vor der Einweihung zurückliegenden Gleichstellung der Juden vorhanden.

Aber dieses Gebäude steht nicht nur als Manifest der Geschichte an der Hauptstraße im Zentrum des Ortes, sie ist durch den Lauf der jüngeren Geschichte auch zu einem Ort der Erinnerung an die nahezu 400 Jahre dauernde gemeinsame Geschichte von Juden und Nicht-Juden in Hirschberg geworden. Diese gemeinsame Geschichte hat – bei allen üblichen kleineren Streitereien – Höhepunkte und Tiefpunkte gehabt; der absolute Tiefpunkt war die Zeit 1933–1945, ein Höhepunkt war sicher das Fest zur Einweihung der Synagoge, der damalige Bürgermeister hat damals beim Oberamt in Weinheim die Genehmigung zu Tanzveranstaltungen in allen Gasthäusern von Leutershausen eingeholt und bat um die Aufhebung der Polizeistunde. Da haben die Juden sicher nicht nur allein und nur unter ihresgleichen gefeiert.

Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, dass die Gemeinde Hirschberg, der Arbeitskreis Ehemalige Synagoge Leutershausen und die Bürger Hirschbergs mit ihren Spenden zusammen das Mahnmal für die im heutigen Hirschberg geborenen Juden, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind, in der unmittelbaren Nähe dieser ehemaligen Synagoge errichtet haben. Somit haben Geschichte, Erinnerung und Mahnung einen gemeinsamen Platz im Zentrum der Gemeinde.

Aber diese ehemalige Synagoge hat seit 2001 noch eine weitere, früher nicht vorhandene Funktion, diese war weder geplant noch war sie voraussehbar. Die hiesige ehemalige Synagoge hat die Funktion eines Brückenkopfs. In der Bautechnik ist ein Brückenkopf das Fundament für eine Brücke auf der gegenüberliegenden Seite; der Brückenkopf ist das Ziel, auf das hin die Brücke über ein Hindernis hinweg gebaut wird.

In den vergangenen Jahren sind einige Brücken auf der Basis dieses Brückenkopfs gebaut worden. Gebaut wurden diese Brücken von Nachkommen der früher hier lebenden jüdischen Familien durch ihren Besuch in Hirschberg. Für einige dieser Besucher war es der erste Besuch in Deutschland überhaupt, sie hatten bis dahin nachvollziehbare Gründe, unser Land zu meiden. Wenn man dann beobachtet, wie diese Menschen diesen Raum betreten, den Ort, an dem ihre Vorfahren gebetet und die Angelegenheiten ihrer Gemeinde besprochen haben, und den Geist dieses Ortes auf sich wirken lassen, dann kann man immer wieder den Eindruck gewinnen, dass sie einen Teil ihrer Wurzeln wiedergefunden haben.

Der erste dieser Brückenbauten lässt sich übrigens zeitlich genau festlegen und er war öffentlich, er fand am Abend des 11. November 2001 bei der Wiedereröffnung dieser ehemaligen Synagoge statt. Auch dieses Ereignis war weder geplant noch vorhersehbar. Es gibt zu dieser Geschichte einen öffentlichen und einen bisher nicht öffentlichen Teil. Der öffentliche Teil kann nur recht verstanden werden, wenn man die bisher nicht öffentliche Vorgeschichte kennt.

Zu der Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge wurden die damals bekannten Nachkommen der früher hier lebenden jüdischen Familien eingeladen, damals waren dies Angehörige der Familien Schriesheimer und Strassburger. Einer der Eingeladenen war ein Sohn früherer jüdischer Bürger von Leutershausen, die 1937 und 1938 auswandern mussten. Er stellte nach der Einladung voller Skepsis die Frage, wozu man in Leutershausen denn eine Synagoge brauche, es gäbe dort ja keine Juden mehr, man habe diese doch alle umgebracht oder vertrieben. Er ließ sich dann aber von den Hintergründen, den Absichten und den Plänen des Projekts überzeugen und nahm die Einladung an.

Bei der Eröffnung hielt der Landrat des Rhein-Neckar-Kreises eine Ansprache und schenkte dem damaligen Bürgermeister Oehldorf ein Schofar, ein aus einem Widderhorn gefertigtes Blasinstrument, welches beim jüdischen Gottesdienst bei bestimmten Liturgien verwendet wird. Bürgermeister Oehldorf stand hier vorne und betrachtete das Schofar interessiert, da stand der erwähnte Gast auf, nahm dem dann doch überraschten Bürgermeister das Schofar aus der Hand und erklärte, sein Vater habe in dieser Synagoge die Funktion des Schofarbläsers innegehabt, er sein Sohn wolle diese Tradition jetzt fortsetzen. Nachdem er dem Instrument einige Töne entlockt hatte, bedankte er sich für die Einladung und rief den Anwesenden den hebräischen Friedensgruß „Schalom“ zu. Dies war sicher der erste Brückenbau.

Diese Funktion eines Brückenkopfs ist sicher nicht die unbedeutenste Funktion dieses Hauses.

Zum Schluss sollte man vielleicht dem Gebäude und seinen Steinen zu dem 150. Geburtstag gratulieren, dies macht aber keinen Sinn. Stattdessen sollten wir den Menschen gratulieren, denen wir das Haus zu verdanken haben. Eine Gratulation beinhaltet ja immer auch einen Dank.

Zuerst geht der Dank an die damalige jüdische Gemeinde, die 1868 dieses Gebäude errichtet hat. Wir sollten die beherzten Nachbarn von 1938 nicht vergessen, die das Haus vor der Zerstörung bewahrten.

Nicht zuletzt gilt unser Dank den Gemeinderäten und der Gemeindeverwaltung, die 1996 den Beschluss fassten, das Gebäude so wie wir es heute sehen, herzurichten, sicher gegen manche inneren und äußeren Widerstände. Und den Architekten und Handwerkern, die diesen Beschluss in so hervorragender Weise umgesetzt haben.

Hoffen wir, dass diese ehemalige Synagoge uns noch lange erhalten bleibt.