wer gedenkt der Drangsalierten
der beinahe Verlöschten
versunken im Sumpf der Zeit
schabt den Schimmel
des Vergessens ab
er ist tödlich
nehmt Rakel Schabeisen Spatel
kratzt Farbe ab
sie täuscht
zieht den verhärteten Firnis herunter
sammelt die verlaufenen Tränen
damit sie trocknen
macht den Menschen dahinter
wieder sichtbar
„Sag den Leuten, sie sollen mit dem Schreien aufhören“, sagen Jesu Gegner, doch er antwortet: „Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.“
Ja, die Steine schreien,
wenn die Menschen stumm gemacht werden,
es ist in den Steinen,
das Schreien der Sklaven in Ägypten, die geschunden wurden bei dem Bau der Pyramiden,
es ist in den Steinen
des Nürnberger Reichsparteitagsgebäudes,
es ist in den Steinen
das Seufzen der Gefangenen in den Steinbrüchen von Flossenbürg und Mauthausen,
es ist in den Steinen,
das Weinen der kolumbianischen Kinder in den primitiven Kohlebergwerken,
die uns so billige Kohlen liefern, dass hierzulande moderne Zechenanlagen geschlossen wurden.
Die Steine schreien
gegen die ehernen Gesetze des Marktes, die als unumstößlich und alternativlos gepriesen werden, obwohl sie doch von Menschen gemacht wurden.
Diese Haltung nennt die Bibel Götzendienst:
„Sie beten an das Werk ihrer Hände – da werden Menschen gebeugt und gedemütigt.“
Auszug aus einem Text von Professor Renate Wind, Heidelberg