Rede von Rudij Bergmann

Rede von Rudij Bergmann anlässlich der Einweihung des Mahnmals am 9. November 2014

Meine Damen und Herren,

kein Mahnmal – kein Denkmal – kein Erinnerungsmal – keine Kunst kann die Wunden der Welt heilen, die Menschen anderen Menschen zugefügt haben. Kunstwerke sind keine Zeichen der Sühne oder gar Ablass-Briefe, um sich Vergebung zu erschleichen. Blutspuren können durch Kunst nicht verwischt werden. Das Blut bleibt auf den Straßen, auch wenn man es nicht mehr sieht.

Und Schande kann mittels Kunst nicht ungeschehen gemacht werden. Auch nicht die nationalsozialistischen Schandtaten, die an so idyllischen Orten wie Großsachsen und Leutershausen an deren jüdischen Bürgern begangen wurden.

Dabei weiß ich sehr wohl, dass die 27 Ermordeten nicht vom hiesigen Synagogen Platz aus in den Tod geschickt, oder sollte man nicht besser sagen, gejagt wurden. Denn diese hatten wohl ziemlich unfreiwillig ihre Heimatdörfer in der trügerischen Hoffnung verlassen, anderswo mehr Schutz zu finden als denn daheim. So oder so ähnlich.

Und weil deren Hoffnung zwar verständlich gewesen ist, aber eben leider trügerisch war, sind wir heute hier, um uns an jene 27 zu erinnern, denen Myriam Holme ihre Skulptur gewidmet hat…

…ein wunderbares Werk. Und wie nahezu alle gute Kunst ist die Skulptur der Künstlerin zwar nicht beliebig – G“tt bewahre – also nicht nach Gutdünken zu deuten, aber dennoch hat sie mehrere Interpretations-Ebenen: Denn Holmes Arbeit ist Mahnmal – Denkmal – Erinnerungsmal in einem.

Was wir sehen, auf den ersten Blick, sind drei polierte Messingstangen, wetterfest, die sich circa vier Meter gen Himmel erheben. Nicht kerzengerade, wie man vermuten könnte. Im letzten Drittel, so in etwa, biegen sie sich seitlich weg. So als würden sie auseinanderstreben. Als wollten sie sich von ihren Messing-Stangen abwenden, die man sich, zusammen genommen, als „Baum-Stamm“ denken sollte.

Myriam Holme, die in ihrer Kunst Sinn für Alchimistisches hat, lässt aus dem behaupteten Baumstamm jeweils „Baum-Kronen“ unterschiedlicher Größe wachsen. Nüchtern betrachtet verlängert die Künstlerin – die übrigens Gast-Professorin an verschiedenen Kunsthochschulen ist – die drei Messingstangen durch mehrere Stäbe. Auch sie sind aus Messing.

Einmal sechs. Einmal zwölf. Einmal neun Stäbe. Insgesamt also 27: Das ist bekanntlich die Zahl jener hier gemeinten jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in den Konzentrationslagern umkamen. Sechs Menschen aus Großsachsen. Neun und zwölf, also einundzwanzig, kamen aus Leutershausen. Aus damals noch unabhängigen Gemeinden.

Daran erinnert diese Skulptur, dieses Erinnerungs-Mal in einer klaren, wenn auch sehr sensiblen Art. Und genau das ist Aufgabe von Holmes Skulptur der Nachdenklichkeit – und genau das ist ein DenkMal: ein Objekt der Nachdenklichkeit eben. Indessen: Nach-Denken ist nicht erzwingbar. Holmes Werk erdrückt den Betrachter nicht, sondern nimmt ihn in Empfang. Eine Einladung also ist diese Skulptur auch an jene, die bislang keine Augen hatten zu sehen, keine Ohren zu hören, kein Herz zu fühlen…

Diese Skulptur ist kein „großes Geschrei“ – obzwar auch das manchmal sein muss, ganz zweifellos – sondern sie ist eine Setzung, die einfach da ist und an der niemand so recht vorbeikommt. Denn da ist die unterschwellige Frage nach dem „Warum“ dieser Skulptur. Nach ihrem Grund. Nach den 27, die zwar nie zurückkamen, die aber doch nun irgendwie anwesend sind. Nun – anwesend sind. Denn Holmes Mahnmal schafft Platz dafür – oder kann zumindest Anstoß sein, an jene zu denken, an die wir uns heute erinnern: eben dank der Skulptur. Also dank der Kunst.

Meine Dame und Herren,

obwohl ich mir die sogenannten Baum-Kronen der Skulptur auch als Kelche oder Tulpen-Blüten assoziieren kann, ist doch der Gedanke an eine Menora, im Plural Menorot, der zwingendste, zumal an einem solchen Ort. Und genau das entspricht der Intention von Myriam Holme und korrespondiert mit der von ihr ebenfalls gestalteten Gedenktafel, auf der die 27 Namen den jeweiligen Menorot zugeordnet sind. Skulptur und Gedenktafel gehören zusammen.

Unter Menora wird zumeist der siebenarmige Leuchter verstanden, der eines der wichtigsten und ältesten religiösen Symbole des Judentums ist. Der Tradition nach hat G“tt Moses genaue Anweisungen gegeben, wie die Menora auszusehen habe, die dann die Kinder Israel auf ihrer vierzigjährigen Wanderschaft durch die Wüste begleitete und später im Tempel ihren Platz fand.

Sich einer künstlerischen Form zu bedienen, die an Menora denken lässt, ohne zu behaupten Menora zu sein, ist eine kluge Idee… aber auch eine respektvolle Verneigung vor dem Glauben und den Traditionen jener, derentwegen sie in Nazi-Deutschland entehrt, vertrieben, ermordet wurden.

Meine Damen und Herren,

die bewusst gesuchte Nähe zur Menora ist allerdings auch eine notwendige künstlerische Gratwanderung, die Inhalt und Form verbindet. Die das Thema vor allzu beliebigen Interpretationen schützt und es an die Skulptur bindet: So erschwert die Künstlerin die Umdeutung der Skulptur ins Ungefähre. In Vage. Ins Beliebige. Ins Triviale. Eben durch die Menora-Assoziation zieht Myriam Holme, sinnbildlich gesprochen, einen Zaun um ihre Mahnmal.

Die Künstlerin hatte die Aufgabe, ein Mahnmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Hirschberg zu schaffen. Das ist gut. Das ist richtig. Und gelungen ist es sowieso.

Mahnmal, das bedeutet in diesem konkreten Fall, mahnende Erinnerung an das zerstörte Leben von 27 Personen, die im heutigen Hirschberg zu Hause waren. Doch man sollte sich das Schicksal der 27 nicht isoliert denken. Die freien Menora-Formen, ihr seitliches Auseinanderstreben vor allem, stellen den Zusammenhang her: Sie erinnern, sie mahnen an die zerrissenen Bande einer einst mühsam gewachsenen deutsch-jüdischen Gemeinsamkeit in Stadt und Land. Und diese u. a. war Anlass und patriotischer Grund für deutsch-jüdische Soldaten, in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Fürs deutsche Vaterland…

Vom deutschen Vaterland hatte schon der rheinisch-jüdisch geborene Heinrich Heine geträumt, der dem Vaterland sein schönstes Volkslied schenkte: die „Loreley“. Über seinen zerbrochenen Traum dichtet Heine 1832 im Pariser Exil:

Ich hatte einst ein schönes Vaterland…
Das küsste mich auf deutsch und sprach auf deutsch…: “Ich liebe dich” –
es war ein Traum.

Des Dichters Traum, den viele deutsche Juden, trotz warnender Zeichen, so lange träumten , haben dann die Nazis mit ihrer Staatsgewalt zum Alptraum werden lassen.

Und auch deshalb,

meine Damen und Herren,

sind wir heute hier. Auch deswegen gibt es die Skulptur von Myriam Holme.

Gewiss: An die Vergangenheit zu mahnen, ist das erste Gebot dieser Skulptur. Denn die Vergangenheit ist nie tot und vorbei, wie gerne wir das auch hätten. Sie schleicht sich immer wieder ein und kehrt nicht selten ganz unauffällig zurück. Dass der Schoß, um Bert Brecht zu zitieren, immer noch oder schon wieder fruchtbar ist, dafür gibt es leider allzu viele antisemitische und rassistische Beweise in unseren Tagen.

Es geht also nicht bloß um Vergangenheit, es geht auch um Gegenwart und Zukunft: Daran zu erinnern, dagegen vorzugehen, nicht bloß politisch, sondern auch persönlich, das ist das zweite Gebot von Holmes Skulptur. Über der als unsichtbares Leitmotiv ein Zitat des Talmuds stehen könnte: dass der Mensch, der einen anderen rettet, in diesem Augenblick die ganze Menschheit rettet.

Übrigens, das auseinanderstrebende Gestänge lässt mich auch an unwiederbringbar Verlorenes denken .Und unwiederbringbar verloren ist, in ihrer unermesslichen Vielfalt,die deutsch-jüdische, die europäisch-jüdische Kultur, welche die deutschen Nationalsozialisten und ihre willigen Helfer, die sie überall fanden, vernichtet haben: indem sie die Menschen vernichteten. Zum Entsetzen könnte sich auch Wut mischen oder zumindest eine Frage:

Jene nämlich, wo das durch seine zunehmenden Krisen gebeutelte Europa heute stünde, wenn die jüdischen Menschen und ihren vielseitigen Talente, ihre geistigen und ökonomischen Ressourcen heute noch da wären. Und zum Wohle des Kontinent eingesetzt würden. Natürlich, das ist eine müßige Frage: Avant perdu…

Doch wenden wir uns dem Hellen zu: Der Menora – sie symbolisiert mit ihren sieben Flammen das Licht, das allen Menschen leuchtet. Ein Licht-Baum also. Nicht selten auch mit dem Lebensbaum in Verbindung gebracht, der in den „Sprüchen Salomons“ für Weisheit, Gerechtigkeit und für erfüllbare Wünsche steht.

Lebens-Baum, das scheint mir ein geeigneter Titel für Holmes Skulptur, die ja nicht bloß anklagt und mahnt, sondern auch für das Leben plädiert. Denn sonst wäre ihre Nähe zur Menora missverständlich… und sie würde ihre Funktion verfehlen.

Mein Damen und Herren,

Kunst im öffentlichen Raum – und der Synagogen Platz ist öffentlicher Raum für viele und für sehr unterschiedliche Gelegenheiten -, hat in der Regel nur dann eine Wirkung, wenn sie diesen Raum nicht nur nicht einschränkt – sondern ihm einen weiteren „Anreiz“ gibt, ihm eine neue Qualität, eine neue „Lebens-Qualität“ hinzufügt. Also einen weiteren Grund schafft, dort hinzugehen. Zum Synagogen Platz, der den Namen des Kantors der einstigen jüdischen Gemeinde von hier nun trägt: Meier Heller.

Holmes Kunststück ist also eine Einladung hier zu verweilen. Alleine oder mit anderen. Ein wunderbarer „Dorf-Platz“, in dessen gedachter Mitte sich eine Skulptur befindet als Ort der Erinnerung und als Treffpunkt. Ein Ziel für Spaziergänger. Verärgerte. Verliebte. Grübler. Flaneure. Jungverheiratete. Neugierige. Für Traurige und Glückliche. Für Familien. Für Jung und Alt. Für Fremde und Einheimische. Aber auch, und nicht zuletzt, für die Nachfahren der einst Vertriebenen. Von denen einige, welch eine noble Geste ihrerseits, aus den USA kommend hier und heute an der Einweihung des Denkmals teilnehmen.

Das Denkmal und sein Platz als dauerhafter Ort des Wiedersehens und des Treffens: Das wäre dann schön und nützlich und lebendig. Das wünsche ich Myriam Holmes Skulptur – und der Gemeinde Hirschberg und dem Arbeitskreis ‚Ehemalige Synagoge Leuterhausen‘, die mit diesem „Lebensbaum“ ein Zeichen gesetzt haben, mit dem sie durchaus wuchern sollten. Und es nicht unter den Scheffel stellen…

Meine Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Rudij Bergmann wurde 1943 in Bad Godesberg geboren. Er arbeitet als Filmemacher, Autor und Kritiker und ist Vizepräsident der Freien Akademie der Künste Rhein-Neckar und Mitglied des Internationalen Kunstkritikerverbandes AICA. Bekannt wurde Bergmann durch seine SDR-Kultsendung BERGMANNsART. Für SWR/ARTE realisierte er TV-Serien, u. a. „Nackt ist die Kunst“ und „Der Leonardo-Code“ sowie Dukumentationen über „Wolf Vostell“ und „Neo Rauch“. Er lebt in Mannheim.